Inwieweit und in welcher Form darf die Bundesrepublik Deutschland in die Privatsphäre ihrer Bürger eingreifen?
Seit dem 11. September 2001 wird in den USA, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland von staatlicher Seite schrittweise in die Privatsphäre des einzelnen Bürgers eingegriffen, um den Bürger sowie den Staat vor terroristischen Angriffen zu schützen. Hierfür werden auch neue Überwachungstechnologien eingesetzt, die von Kritikern (zu) stark in die Privatsphäre der Bürger eingreifen. "RFID, Lauschangriff, Videoüberwachung, Gendatenbank oder Biometrie, wie sie etwa von Innenpolitikern der großen Parteien forciert werden, stellen für Befürworter Garanten der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung dar, da sie Schutz gegen Terrorismus bieten würden." Kritiker dagegen warnen immer wieder vor der Gefahr, die von einem (ausgearteten) Überwachungsstaat ausgehen kann.
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Globaler Standpunkt: Der Staat darf nur sehr wenig oder gar nicht in die Privatsphäre seiner Bürger eingreifen.
Der Staat sollte grundsätzlich nicht in die Privatsphäre seiner Bürger eingreifen - auch nicht um ihn vor mutmaßlichen Terroranschlägen zu schützen. Der Handlungsspielraum von staatlichen Instanzen ist klar im Gesetz definiert und sollte auch so beibehalten werden. Vielmehr sollte das Ziel sein, die Privatsphäre der Menschen zu wahren. Gerade das Internet und die neuen Kommunikationsmedien stellen unsere Gesellschaft vor neue Herausforderungen im Umgang mit der Privatsphäre.
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Offensichtliche positive Konsequenz: Persönliche Entfaltung
Das Recht auf Privatsphäre ist eine wichtige Errungenschaft und gilt heute als ein grundlegendes Privileg moderner Demokratien. Das Persönlichkeitsrecht (Art. 2 GG), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) und das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) haben eine lange Tradition und dienen dem räumlichen Schutz zur freien Entfaltung der Persönlichkeit.
Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei der Informationellen Selbstbestimmung um ein Datenschutz-Grundrecht, das dem Einzelnen das Recht einräumt, selbst über die "Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen, das im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland [aber] nicht ausdrücklich erwähnt wird."
Das Informationelle Selbstbestimmungsrecht lässt sich sowohl vom Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG, als auch von §8 Abs.1 der Europäischen Menschenrechtskonvention ableiten.
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Beleg (systematische Aufarbeitung): Wikipedia, Privatsphäre, Informationelle Selbstbestimmung
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Beleg (Gesetz / Verordnung / Gerichtsurteil / Gesetzesentwurf / -vorschlag u.ä.): Auszug aus dem Grundgesetz
Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG)
Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)
Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG)
www.gesetze-im-internet.de/gg/art_2.html
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Beleg (Gesetz / Verordnung / Gerichtsurteil / Gesetzesentwurf / -vorschlag u.ä.): Artikel 8, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
„Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.“
EMRK Art. 8 Abs. 1
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Offensichtliche negative Konsequenz: Dem Staat entgleitet die Kontrolle
Um den (technischen) Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewappnet zu sein, ist es wichtig, dass der Staat seine Bürger auch vor den damit verbundenen Gefahren schützt. Auch der Terrorismus und das organisierte Verbrechen profitieren vom technischen Fortschritt der letzten Jahre und nutzen diesen erfolgreich zum eigenen Vorteil. Das Internet spielt hierbei eine bedeutende Rolle. Damit der Staat seinen Aufgaben und Pflichten nachkommen kann, muss er angemessen im digitalen Raum agieren können. Lauschangriffe oder Telekommunikationsüberwachung sind dabei notwendige Maßnahmen die ein Staat durchführen kann. Der Einsatz solcher Technologien schränkt zwar potentiell auch die Privatsphäre unbeteiligter Personen ein, ist aber nötig um der "Achse des Bösen" entgegenzuwirken.
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Globaler Standpunkt: Um seine Bürger zu schützen, darf/muss der Staat in die Privatsphäre seiner Bürger eingreifen.
Der Einzelne muss zukünftig zum Schutze aller, mit Einschränkungen in seiner Privatsphäre rechnen. Dies ist notwendig um mögliche Gefahren, wie Terroranschläge rechtzeitig zu verhindern.
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Erhoffte positive Konsequenz: Durch Eingriffe in die Privatsphäre von Bürgern können präventiv terroristische Vorhaben abgewandt werden.
Enscheidende Passage der Quelle: „Deutschland ist [...] zu einem der Zielländer des Terrorismus geworden. Daher ist es erforderlich, die deutschen Sicherheitsbehörden weiterhin mit den erforderlichen Möglichkeiten und Instrumenten auszustatten, um dieser Bedrohung entgegenzutreten.“
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Gefahr durch Terrorismus auch in Deutschland real ist. Nicht nur Religiöser Terrorismus, sondern auch Rechtsterrorismus erschütterte die Bundesrepublik jüngst.
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Beleg (Pressemitteilung): Onlinedossier des Bundesministeriums des Inneren: „Zehn Jahre Kampf gegen den internationalen Terrorismus“
Enscheidende Passage der Pressemitteilung: „Deutschland ist [...] zu einem der Zielländer des Terrorismus geworden. Daher ist es erforderlich, die deutschen Sicherheitsbehörden weiterhin mit den erforderlichen Möglichkeiten und Instrumenten auszustatten, um dieser Bedrohung entgegenzutreten.“
www.bmi.bund.de/DE/PresseAktuelles/Themendossiers/10_Jahre_911/Teil2/Teil_2.html
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Anzweiflung (automatisch erstellt): Automatische Anzweiflung
Belege des Typs 'Pressemitteilung' sind keine gesicherten, fundierten Erkenntnisse sondern oft mit persönlichen Ansichten unterfütterte Einschätzungen.
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Beleg (Medienbericht): Süddeutsche Zeitung, Vereitelte Terroranschläge in Deutschland, 10.05.2010
Die Süddeutsche Zeitung dokumentiert die wichtigsten Fälle der letzten 10 Jahre.
www.sueddeutsche.de/politik/uebersicht-vereitelte-terroranschlaege-in-deutschland-1.242168
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Anzweiflung (automatisch erstellt): Automatische Anzweiflung
Belege des Typs 'Medienbericht' sind keine gesicherten, fundierten Erkenntnisse sondern oft mit persönlichen Ansichten unterfütterte Einschätzungen.
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Wahrscheinliche negative Konsequenz: Eingriffe in die Privatsphäre des Bürgers können zu Verhaltsensveränderungen, beispielsweise einer Anpassung an den Rest der Bürger, führen.
Entscheidener Satz aus BVerfGE 65: „Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.“
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Beleg (Gesetz / Verordnung / Gerichtsurteil / Gesetzesentwurf / -vorschlag u.ä.): BVerfGE 65 („Volkszählungsurteil“)
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1983. Hier wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet.
Sind Bürger nicht darüber informiert welche Daten über ihr Verhalten gespeichert wird, oder können sie es nicht beeinflussen, passen sie ihr Verhalten aus Vorsicht an. Das beeinflusst "nicht nur die individuelle Handlungsfreiheit, sondern auch das Gemeinwohl, da ein freiheitlich demokratisches Gemeinwesen der selbstbestimmten Mitwirkung seiner Bürger bedürfe."
zensus2011.de/fileadmin/material/pdf/gesetze/volkszaehlungsurteil_1983.pdf
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Beleg (Medienbericht): Bundesbeauftragter für den Datenschutz bei heise.de
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz mahnt einen Schaar mahnt „einen unbeobachtbaren privaten Bereich [...] [an], der auch bei staatlichen Maßnahmen zu beachten sei.“
www.heise.de/newsticker/meldung/Bundesdatenschuetzer-beklagt-immer-staerkere-Einschraenkung-der-Privatsphaere-161773.html (Zugriff 16.06.2012)
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Anzweiflung (automatisch erstellt): Automatische Anzweiflung
Belege des Typs 'Medienbericht' sind keine gesicherten, fundierten Erkenntnisse sondern oft mit persönlichen Ansichten unterfütterte Einschätzungen.
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Beleg (systematische Aufarbeitung): Wikipedia, Volkszählungsurteil
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Befürchtete negative Konsequenz: Die "Standardsituation" ändert sich.
Die Europäische Kommission kommt in ihrem Abschlussbericht "Vergleichende Studie über verschiedene Ansätze zur Bewältigung neuer Herausforderungen für den Schutz der Privatsphäre, insbesondere aufgrund technologischer Entwicklungen." zu der Feststellung, dass Regierungen Informationen über ihre Bürger "analysiert und auswertet". Laut der Studie "ändert sich die „Standardsituation“ dahingehend, dass sich staatliche und private Stellen nicht mehr entscheiden müssen, Daten zu erheben, sondern dass sie sich bemühen müssen, keine (immer sensibleren) Daten zu erheben."
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Beleg (wissenschaftlicher Aufsatz): Europäische Kommission; Generaldirektion Justiz, Freiheit und Sicherheit; Vergleichende Studie über verschiedene Ansätze zur Bewältigung neuer Herausforderungen für den Schutz der Privatsphäre, insbesondere aufgrund technologischer Entwicklungen.; 2010
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Globaler Standpunkt: Es gibt keine Privatsphäre (mehr), also kann der Staat auch nicht darin eingreifen.
In den Jahren nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurden auch in Deutschland immer mehr Gesetze erlassen, die die Privatsphäre potentiell einschränken. In Zukunft müssen wir uns von dem Gedanken einer Privatsphäre wie wir sie jetzt kennen verabschieden. Jede Gesellschaft hat ein unterschiedlich starkes Empfinden nach Privatsphäre. Im weltweiten Vergleich könnte man festhalten, dass deutsche Staatsbürger tendentiell ein eher großes Bedürfis nach Privatheit verspüren. In Indien und in vielen anderen Teilen Asiens scheint der Begriff Privatsphäre gänzlich unbekannt zu sein. In asiatischen Ländern ist es bei vielen Mittelstandsfamilien üblich den Schlafplatz mit der ganzen Familie und auch Gästen zu teilen.
Anmerkung: Post-Privacy bedeutet frei übersetzt "Was nach der Privatheit kommt" und beschreibt den Zustand in dem es keine Privatsphäre und keinen Datenschutz mehr gibt. Post-Privacy Vertreter weisen daraufhin, dass die Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit durch Onlinenetzwerke wie Twitter und Facebook immer weiter verschwimmen und schaffen 2009 im Rahmen einer Debatte über soziale Netzwerke diesen Begriff. "Gemeint ist nicht, dass ein jeder Mensch überwacht wird, so dass er für alle transparent ist, sondern, dass was irgendjemandem über einen Menschen bekannt ist, problemlos transparent gemacht werden kann."
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Erhoffte positive Konsequenz: Alle sollten alle Überwachen dürfen.
Wenn Überwachungstechnik immer kostengünstiger wird, muss der Bürger sich damit abfinden, keine Privatsphäre mehr wahren zu können. Allerdings: Die Überwachungstechnologie soll dafür allen Bürgern zur Verfügung stehen. Dadurch würde sich die totale Überwachung zu einer totalen Transparenz umwandeln (= es gibt gar keine Privatsphäre mehr).
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Beleg (Literaturrecherche oder Metastudie): Brin, The Transparent Society: Will Technology Force Us to Choose Between Privacy and Freedom?, 1999
Brin, David 1999: The Transparent Society: Will Technology Force Us to Choose Between Privacy and Freedom?, New York: Reading/Mass, zitiert nach Heller, Christian 2011: Post Privacy: Prima leben ohne Privatsphäre. München: C.H. Beck.
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Befürchtete negative Konsequenz: Asymmetrische Informationsverteilung
Totale Transparenz für alle Bürgerinnen und Bürger wird es nie geben. Auf lange Sicht wird die Mehrheit der Bevölkerung die Privatsphäre aufgeben, ein kleiner privilegiert Teil wird seine Privatsphäre aber erfolgreich schützen können.
Ein solches Szenario schließt den damit womöglich verbundenen Machtmissbrauch nicht aus. Gerade die neuen Technologien tendieren dazu die Machtverhätlnisse von Einzelpersonen Richtung derer, die über Daten verfügen, zu verschieben.
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Offensichtliche negative Konsequenz: Gefahr regelrechter Hetzjagden.
Der Fall Wulff soll keineswegs beschönigt werden, aber er hat uns auch wiedermal gezeigt, wie schmutzig und unschön in der Öffentlichkeit mit Details aus dem Privatleben einzelner umgegangen wird. Man kann die Art und Weise wie Personen des öffentlichen Lebens von den Medien dargestellt werden grundsätzlich in Frage stellen. Szenarien regelrechter Hetzjagden und "öffentliches anprangern" wird offensichtlich durch (nahezu) totale Transparenz beflügelt.
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Befürchtete negative Konsequenz: demokratiegefährdend
Eine demokratisch an die Macht gekommene Partei könnte das hochtechnologische Überwachungssystem und all die gesammelten Informationen über ihre Staatsbürger missbrauchen und einen diktatorischen Staat errichten. Die deutsche Vergangenheit zeigt, dass ein solches Szenario nicht ausgeschlossen werden kann.
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Beleg (systematische Aufarbeitung): Wikipedia, Überwachungsstaat
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Befürchtete negative Konsequenz: Der Bürger wird zum Produkt.
Das immense Datenvolumen an Informationen, das im Internet kursiert wird leichter zugänglich und droht den Einzelnen zum bloßen Objekt werden zu lassen. Der Mensch wird auf Grundlage seiner Online-Profile mit Hilfe von automatisierten Algorithmen zum Produkt zu werden, das weltweit vermarktet werden kann.
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- Sonderstandpunkt (Frage kann nicht fundiert beantwortet werden): Wissenschaftliche Daten fehlen
Die Wirkungen bisheriger Eingriffe in die Privatsphäre sowie diskutierte, zukünftiger Eingriffe in die Privatsphäre sind schwer bis gar nicht empirisch messbar.